„Zuhören, sich öffnen: Mal anders miteinander sprechen“

Bericht zum Dialog-Think Tank „Zerrissene Gesellschaft und die Möglichkeiten des Dialogs“ am 14.09.2019 in Frankfurt am Main

„Du Knallkopf, pass doch auf, willst Du mich überfahren? Nichts im Hirn, aber einen schweren SUV fahren!“ „Sei Du doch still, Du alte Kuh, beachte gefälligst genauer den Fahrradstreifen!“ Wie häufig führen wir solche Dispute oder hören sie von anderen, wenn es etwa im Straßenverkehr zu Auseinandersetzungen zwischen Fahrrad- und Autofahrer/innen kommt. In solchen Fällen sind die Lerneffekte für beide Beteiligten nicht sehr groß und verstärken die schon vorhandenen gegenseitigen Animositäten.

Ein Alltagsbeispiel, aber gleichwohl symptomatisch für die zunehmend aggressiven und unversöhnlichen Formen des miteinander Sprechens bei Konflikten in der Gesellschaft. In den Debatten um Flüchtlinge und Zuwanderung, um den Klimawandel, dem wachsenden Rechtspopulismus und Antisemitismus – selten geht es in den Auseinandersetzungen noch um das Finden von Lösungen, beharrt wird auf dem eigenen Standpunkt und verteidigt wird das eigene Wertesystem der jeweils eigenen Milieus. Auf längere Sicht verstärkt diese Tendenz die Gespaltenheit der Gesellschaft und sie führt zu Verlusten wesentlicher Errungenschaften der Demokratie. Gab es das nicht schon einmal, ein in zivilen Formen geführtes Gespräch trotz Differenzen und vorhandenen Kontroversen? Sind nicht viele von uns die unfruchtbaren Auseinandersetzungen in Politik, den Parteien, den unterschiedlichen Milieus und sozialen Kontexten leid?

Hier setzte das Institut für dialogische Kultur und Bildung mit seiner Veranstaltung „Zerrissene Gesellschaft und die Möglichkeiten des Dialogs“ an. Teilgenommen haben Frauen und Männer unterschiedlichen Alters, aus verschiedenen professionellen und sozialen Zusammenhängen.

In einer dialogisch geführten Gesprächsrunde werden bestimmte Regeln beachtet, mit denen die bekannten Unsitten in Diskussionen wie das Unterbrechen, dazwischen Reden, nicht aussprechen lassen vermieden werden. Wenn diese Regeln eingehalten werden, kommt es zu einem konzentrierten und respektvollen miteinander Sprechens. Eine dialogische Haltung einzunehmen bedeutet, nicht die/den Anderen überzeugen, sondern zu allererst verstehen zu wollen; d.h. eine offene Haltung einzunehmen, was im Verlauf des Gesprächs das gegenseitige Vertrauen erhöht und auch das eigene Verhalten diszipliniert, wenn man gewohnheitsmäßig „wie auf einen Knopf gedrückt“ widersprechen oder bei differenten Meinungen, eine Schimpfattacke lostreten will.

Die Teilnehmer/innen berichteten von Beispielen in ihrem sozialen Leben oder aus dem Bekanntenkreis, zunehmend mit populistischen oder rechten Ansichten konfrontiert zu werden und sich meistens hilflos zu fühlen, wie sie reagieren sollen. Häufig ist ihre Reaktion sich abzuwenden, das begonnene Gespräch abzubrechen. Hilft denn da eine dialogische Haltung, sich zunächst einmal durchaus offen für die Meinung des Gegenübers zu zeigen? Eher zufällige Alltagssituationen unterscheiden sich selbstverständlich von einer bewusst initiierten Dialogrunde, die bei den Teilnehmer*innen ein Einverständnis mit den Regeln und ein Interesse an den Beweggründen der anderen voraussetzen. Hier wird unterschiedlichen Meinungen nicht konfrontativ begegnet, sondern nach den jeweiligen Beweggründen gefragt, die etwa zu Ängsten gegenüber Flüchtlingen führen. Meistens erschließt sich so eine komplexere Erfahrungspallette, die sich hinter der zunächst als ‚Flüchtlingsfeindlich‘ diagnostizierte Haltung verbirgt. Und zum Schluss lernen in dieser dialogischen Auseinandersetzung alle Beteiligte voneinander. Kann ich denn auch für den eigenen Alltag etwas aus den dialogischen Gesprächen lernen? Hier berichtet eine Teilnehmerin, wie es in ihrem beruflichen Alltag als Pädagogin hilfreich ist, eine dialogische Haltung einzunehmen, sei es in der Kommunikation mit Schülern, anderen Lehrern oder im Elterngespräch. Das bedürfe allerdings einer längeren Zeit des Ausprobierens und Lernens, – so kann sich also der Dialog auch zur professionellen Kompetenz, zur Alltagskompetenz und zur sozialen Praxis entwickeln.

Wenn wir auf die Gesellschaft schauen, können dialogische Praktiken im Alltag dazu führen, mal wieder vermehrt Erfahrungen von Verbundenheit zu ermöglichen. Emanuel Macron hat im Sommer letzten Jahres aus diesem Grund seine sogenannten „Bürgerdialoge“ in verschiedenen Regionen des Landes durchgeführt, in denen er seine Politik in öffentliche dialogische Prozesse eingebunden hat. So wie die Wissenschaftler/innen, die die Ergebnisse ihrer sozialwissenschaftlichen Studien an Orten, die Gegenstand der Untersuchungen waren, in „Bürgergesprächen“ vorstellen, anstatt sie in abgeschotteten Forschungszirkeln zu diskutieren.

Gleichwohl soll nicht das Potenzial des Dialogs überstrapaziert werden. Und im Dialog gibt es selbstverständlich auch Grenzen, wenn es etwa um rassistische Haltungen geht. Um einen sozialen Weichspüler handelt es sich nicht. Aber für diejenigen, die sich in dieser Methode üben wollen und da, wo sie zur Anwendung kommt, können wir von demokratischer Praxis sprechen. Und die brauchen wir zurzeit ganz besonders.

Dörthe Jung